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Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis

Vor 3.000 Jahren betet der König Salomo so: „Du allein, Gott, kennst das Herz aller Menschenkinder.“ (1. Buch der Könige 8,39) Er betet das öffentlich und laut - als er den Tempel in Jerusalem einweiht. Der Tempel ist die erste feste Wohnung Gottes. Bisher war die Bundeslade Gottes Wohnung. In ihr wurden die Gebote aufbewahrt. Nach langer Zeit des Herumwanderns war das Volk Israel aber sesshaft geworden und wünschte sich das auch von Gott. Er sollte ein Haus bekommen, und bekam es. Eigentlich wollte der König David schon einen Tempel bauen – aber wie das so ist mit dem „eigentlich“. Es ist letztlich Davids Sohn, Salomo, der den Tempel vollendet.

Salomo weiß aber zugleich (8,27): „Der Himmel und aller Himmel Himmel können Gott nicht fassen.“ Da hat er recht. Jedes Haus Gottes ist eher ein Zeichen seiner Nähe. Wir gehen in unsere Kirchen, um unsere Sinne zu sammeln und uns Gott zuzuwenden. Dabei wissen wir: Gott kennt unser Herz. Er sieht unsere Gedanken. Er erfühlt uns. Das ist einerseits ein großer Trost. Wir müssen Gott nicht lange erzählen, wie uns zumute ist. Andererseits können wir vor ihm nichts verbergen. Wer uns erfühlt, kennt immer viel mehr von uns als nur das Äußerliche. Sagen wir es einfach so: Wir können Gott nichts vormachen. Viele kennen ja den Vers aus dem 139 Psalm: „Herr, du erforschest mich und kennest mich.“ So vor Gott zu treten und uns selbst zu erkennen im Licht des Erkennens Gottes, das ist das größte Glück im Haus Gottes. Wir müssen uns nicht erklären; wir können schweigen und uns sehen lernen, wie wir sind, nämlich bedürftig. Wir sind Gottes bedürftig. Das ist vielleicht das Wertvollste, was wir über Gott wissen: Wir haben ihn nötig - um uns zu erkennen und um uns nichts vormachen zu müssen über uns.

Ja, Gotteserkenntnis hat ganz viel mit Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis zu tun. Wenn ich die Bibel lese, dann komme ich immer auch mir selbst näher, meinen Fragen, Hoffnungen, Sehnsüchten und Möglichkeiten.

Das wünsche ich uns allen, dass wir - als Glaubensgeschwister miteinander auf dem Weg - immer wieder neue Facetten unserer Persönlichkeit entdecken und entwickeln und immer besser verstehen, wer wir eigentlich sind.

Euer

Klaus Kemper-Kohlhase